Johanniter Dezember/20

Beiträge in der Rubrik „Denkanstoß“ geben nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder. Foto: Privat / Illustration: Karo Rigaud Denkanstoß Weihnachten zum Mitnehmen. Prof. Dr. Kristian Fechtner lehrt Praktische Theologie an der Johannes Gutenberg- Universität Mainz und hat meh- rere Bücher über den zeitge- mäßen Umgang mit kirchlichen Ritualen veröffentlicht. Advent und Weihnachten sind Zeiten, die heimatliche Gefühle hervorrufen. Bekannte Klänge, Gerüche, Rituale. Heiligabend dann die biblische Geschichte in vertrauten Worten: „Es begab sich aber zu der Zeit …“ Das weihnachtliche Festgefühl speist sich aus Vertrautheiten. Inmitten des geschäftigen Lebens er- möglichen sie uns, empfindsam zu sein. Zart-bitter ist nicht selten die Gefühlslage, weil Menschen in dieser Zeit auch verletzlicher sind. Und deshalb ist es für viele wichtig, dass alles so zugeht, wie sie es immer schon erlebt haben. Die Bilder von dem, was Advent und Weihnachten ausmacht, reichen bis in die Kind- heit zurück. Dieses Jahr mag anders gewesen sein als die Jahre zuvor. Zu Weihnachten jedoch will sich die Seele vergewissern: „Alle Jahre wieder …“ Änderungen absehbar / Nun ist absehbar: Die Ad- ventswochen und das Weihnachtsfest werden dieses Jahr etwas anders sein. Keine Adventsmärkte, auf denen Menschen eng beieinander sind; Betriebs- feiern, wenn überhaupt, dann nur im kleinen Kreis; Zusammensein eingeschränkt und auf Abstand, Adventssingen womöglich eher digital. Und Heilig- abend? Zu Hause wird vielleicht vieles sein können wie die Jahre zuvor. Aber schon mancher Besuch bei den Großeltern im Altenheim findet unter er - schwerten Schutzbedingungen statt. Eine besondere Herausforderung sind die Gottesdienste: die dicht gefüllte Kirche beim Krippenspiel, der Weihnachts- gesang der großen Gemeinde, die anschließende Umarmung der Nachbarin. All dies wird kaum gehen. Dann eben unterwegs / Wir werden Weihnachten feiern, auch dieses Jahr, auch unter besonderen Umständen. Ich stelle mir vor: Es wird, stärker als in vergangenen Jahren, ein Unterwegs-Weihnachten sein. Vielleicht kein Kaffeetrinken mit den Freunden in der Wohnstube, sondern stattdessen ein gemein- samer Weihnachtsspaziergang. Kein Krippenspiel in der eng gestellten Kirche, sondern einzelne Sta- tionen mit Abstand auf den Plätzen vor der Kirche. Eine über die Weihnachtstage geöffnete Kirche, in die immer wieder Grüppchen kommen können, kleine Liturgien im Vorübergehen. Vieles wird in den Gemeinden in dieser Richtung vorbereitet. Wir werden mehr unterwegs sein mit Zwischenhalten. So könnte unser Weihnachtserleben durchlüftet werden. Womöglich spüren Menschen sogar, wie entlastend es ist, wenn festgezurrte Gewohnheiten aufgegeben werden können, und es wohltuend sein kann, wenn Weihnachten in Bewegung kommt. Und sie entdecken neu: Auch die biblische Geschichte vom Christfest ist ja eine Unterwegsgeschichte mit Stationen. Die Weisen, die Hirten und auch die Engel sind unterwegs – und auch die Heilige Familie vor und nach der Geburt. So ist das Leitmotiv für Weih- nachten: der Gang zur Krippe.   / Kristian Fechtner Johanniter / Dezember 2020 / Unter Freunden 25

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