Johanniter April/22

Wenn dieser Tage die Fastenzeit zu Ende geht, ärgern sich wieder viele und sind vielleicht unzufrieden mit sich: Große Ziele hat man sich da gesteckt, den Verzicht auf dieses oder jenes an- gestrebt. Oft wird das aber nicht geklappt haben. Mangels Ausdauer, der Umstände halber und ach, dann gab es natürlich noch mit Corona wieder ganz eigene Herausforderungen. Auch wenn es trotz bester Vorsätze mal wieder nicht hat sollen sein: Ich finde, dass man in diesen Dingen nicht so hart mit sich selbst zu Gericht gehen sollte. Und ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es gute Gründe gibt, es manchmal beim Ver- such zu belassen. Denn als passionierter Bergsteiger weiß ich, dass auch die beste Vorbereitung mit Wet- ter- und Kartenkunde, dem Üben von Sicherungs- techniken und dem Fitness-Training keine Garantie dafür ist, dass man es schafft. Das viele Training ... / Mit meinem besten Freund habe ich das vor einigen Jahren selbst erlebt: Ein Jahr lang hatten wir uns mit wöchentlichem Trai- ning, penibler Materialplanung und sechs Wochen Urlaub dafür vorbereitet, die mehr als 6.800 Meter hohe Ama Dablam im Himalaya-Gebirge zu be- steigen. Das Know-how dafür ist nichts, was man sich innerhalb von 24 Stunden im Internet bestellen kann. Ein Bergsteiger braucht Monate und Jahre, um an einen Punkt zu kommen, wo man mit seinem Leben und dem der Freunde, die einen begleiten, verantwortungsvoll unterwegs sein kann. Aber schon beim Basecamp auf gut 4.500 Metern Höhe machte sich bei meinem Begleiter ein Infekt bemerkbar. Was nun? An den großen „Modebergen“ hängen zwar fixierte Seile, an denen man sich auch solo hochziehen könnte – was nicht unser Anspruch war. Aber als ich sah, wie viele Menschen vor mir am Berg an diesen Seilen im Stau standen, über- kam mich Sorge: Kälte, Wind und ungewollte Be- wegungslosigkeit führen häufig zu Erfrierungen an Fingern und Zehen von Bergsteigern. Ich brach ab … Am Ende überraschend leicht / Mit Ende 40 war es absehbar, dass ich nicht mehr lange den Anfor- derungen des Bergsteigens gerecht werden kann. Trotz dieser Gewissheit fiel mir die Entscheidung zur Umkehr überraschend leicht – auch wenn sie natür- lich mit Trauer, Frust und Wut gepaart war. Vor allem habe ich eine Verantwortung für meine Liebsten in der Heimat gespürt. Lebensfreude und Neugier auf andere Abenteuer ließen mir das Risiko, am Berg zu verunglücken, als zu hoch erscheinen. Mit zunehmendem Alter schließen sich für uns alle Türen zu bislang Selbstverständlichem. Aber ich bin mir sicher, dass sich andere Türen öffnen. Die Schönheit des Lebens lässt sich in einer so großen Vielfalt entdecken. Dafür muss man offen sein – und am Leben. So ist ein Verzicht an mancher Stelle zwar enttäuschend, aber zugleich ein zutiefst lebensbeja- hendes Zeichen der Stärke. / Christian Gatniejewsk Foto: Privat / Illustration: Karo Rigaud Beiträge in der Rubrik „Denkanstoß“ geben nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder Denkanstoß Ein Zeichen der Stärke Christian Gatniejewski 52 Jahre, ist unter anderem im Rettungsdienst und als Sofort- helfer für den Auslandseinsatz der Johanniter-Unfall-Hilfe tätig. Seine Begeisterung fürs Helfen reicht er in der Jugend- arbeit auch an den Nachwuchs weiter. Johanniter / April 2022 / Unter Freunden 23

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