Johanniter Juli/22
Foto: privat Helene Lambacher war gerade mal drei Jahre alt, als ihre Mutter an den Folgen einer Krankheit starb. Sie stand auf einem kleinen Kinderstühlchen, schaute in den Sarg – und war hilflos. Mehr als 50 Jahre später ist sie Radiologieassistentin, arbeitet in einer Arzt - praxis und macht in ihrer Freizeit ehrenamtlich bei den Johannitern in Neu-Ulm das, was ihr damals gutgetan hätte – es aber damals noch nicht gab. Bei „Lacrima“, der Trauergruppe für Kinder und Jugend liche, zeigt sie anderen, dass sie Trauer spüren dürfen. Und dass sie gemeinsam den persönlichen Verlust bewältigen können. Zeit und Halt geben / Denn wer in jungen Jahren einen nahen Menschen verliert, will seinen Schmerz loswerden, seine Gefühle ausdrücken, sich spüren. Das braucht Zeit – und vor allem Halt. „Dafür sind wir da. Man darf bei uns weinen oder lachen oder auch Wut haben, alles, was hilft, die Trauer zu ver - arbeiten“, sagt Helene Lambacher. 2018 wurde die „Lacrima“-Gruppe in Neu-Ulm ge - gründet. Ein Jahr später war die 55-Jährige bereits dabei: „Es war purer Zufall.“ In der regionalen Zeitung hatte sie davon gelesen, dass dieses Projekt der Johanniter gestartet ist und Ehrenamtliche dafür gesucht würden. „Ich wusste sofort: Das ist genau das, was ich gerne machen möchte. Ich habe sofort dafür gebrannt.“ Aber erst musste sie eine Ausbil - dung absolvieren. An vier Wochenenden drückte sie mit anderen die Schulbank, wurde mit den eigenen Fragen nach Trauer, Schmerz und Verlust konfron - tiert. Hat sie die Erlebnisse selber verarbeitet, gibt es Themen, die noch unbearbeitet sind? „Das ging an die eigenen Kräfte, Emotionen und Erfahrungen“, sagt sie, „aber das war notwendig, weil wir Kindern oder Jugendlichen in der Trauerabeit Halt geben wollen.“ Alle zwei Wochen treffen sich bis zu neun trauernde Kinder und vier Betreuungspersonen für gut zwei Stunden. Immer einem geregelten Ablauf folgend. Nachdem sich die Kinder erst einmal draußen ausge tobt haben, folgt das Kerzenritual. Hierbei steht eine große Kerze für alle in der Mitte und nacheinander zündet jede anwesende Person ein eigenes Teelicht für ihre Herzensperson an, um die sie trauert. Indem ausgesprochen wird, für wen das Licht brennt, hilft es, Erinnerungen und Erfahrungen zu benennen, die mit dieser Person verbunden sind. Im Anschluss werden Themen, die in der Trauerphase immer wieder auftauchen, wie zum Beispiel Wut oder Schmerz, spielerisch oder kreativ bearbeitet. „Emo - tionen zum Sterben gibt es viele“, sagt Helene Lam - bacher, „diese sichtbar zu machen, ist sehr wichtig.“ Eine Herzensangelegenheit / Corona war eine He - rausforderung, denn die so wichtigen realen Treffen mussten entfallen. „Wir haben gelernt, uns online zu treffen.“ Aber die Videotelefonie war kein vollwerti - ger Ersatz, nur ein Angebot, um den Kontakt nicht zu verlieren. Zu sehen, dass den Kindern die echten Zu - sammenkünfte sehr wichtig sind, wie sie mitmachen, sich öffnen, „das ist mir eine Herzensangelegen - heit. Dann macht das Sinn, was wir tun“. Es gebe ihr „eine tiefe Befriedigung“, sagt Lambacher über ihr Ehrenamt bei den Johannitern in Neu-Ulm. „Es tut mir auch persönlich gut, denn ich durchlebe mit den Beteiligten in der Gruppe meine eigene Trauer.“ Das, was ihr als Kind immer gefehlt hatte. / Ina Krauß Porträt Auch Lachen ist erlaubt Für sich selbst hätte Helene Lam- bacher gerne gehabt, was sie heute anderen anbietet: Bei „Lacrima“ hilft sie Kindern und Jugendlichen nach einem schweren Verlust. Johanniter / Juli 2022 / Unter Freunden 21
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