Johanniter Juli/22
5 Wenn die achtjährige Alisa auf der Bier - bank in der Dresdner Messehalle sitzt, dann hält sie ihr Handy fest in beiden Händen. Das Gerät bedeutet für sie vor allem die Welt, die sie vor einigen Wochen flucht - artig verlassen musste. Es ist das virtuelle Fenster zu ihrem Vater, der in der ukraini - schen Stadt Saporischschja geblieben ist, um dort sein Land zu verteidigen. Und zu ihren Freunden, die ebenfalls geblieben oder nach der Flucht in verschiedenen Orten Europas gestrandet sind. Stationen der Flucht / Alisa ist eine von mehr als 800.000 Menschen, die vor dem Krieg nach Deutschland geflüchtet sind. Viele sind in Dresden angekommen. So wie Alisas Mutter Julia, die schon früh entschie - den hat, die Ukraine zu verlassen. Bereits Ende Februar, als die ersten Bombenge - schwader über der Stadt kreisten: „In der Nähe von Saporischschja steht das zweit- größte Kernkraftwerk der Welt. Wenn dort russische Bomben fallen, dann wird es für alle gefährlich.“ Außerdem hat ihr 18-jähri - ger Sohn Probleme mit dem Gehen. Nach - dem der Fahrstuhl im Haus außer Betrieb war, wurden die Wege in einen Schutzkeller zur Qual. Und so machte sich Julia mit ihren beiden Kindern auf den Weg zur Grenze. Ihr Mann blieb, um bei der Verteidigung der Stadt zu helfen. Und beinahe hätte dieses Schicksal auch ihren Sohn getroffen: An der polnischen Grenze durften die drei nicht ausreisen. Der 18-Jährige musste zur Mus - terung. Erst durch ärztliche Atteste ließ sich seine Kriegsunfähigkeit nachweisen. In ihren Notunterkünften betreuen die Johanniter Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind. Hinter jedem Menschen steckt ein Einzelschicksal, das den Helfenden am Herzen liegt.
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