Johanniter Dezember/22
Ich bin Journalist in Wien und habe nichts mit Bauern zu tun. Aber ich habe einen steirischen Berg - bauern als Freund gewonnen und dabei mithelfen können, einen Hof zu retten – und das kam so: Der Bergbauer Christian Bachler stellte sich mit seiner Wollhaube und seinem Stallgewand in das Gehe- ge seiner Wollschweine und beschimpfte mich via Facebook. Ich sei ein „Oberbobo“, also ein Bour - geois-Bohemien. Und obendrein ein Jurist, der alles besser wisse als die dummen Bauern. Bachler war so zornig, weil ich in einem Artikel das sogenannte „Kuh-Urteil“ gelobt hatte. Der Witwer und das Waisenkind einer von einer Kuh auf einer Alm getöteten Frau bekamen von Bauern eine Ent - schädigung zugesprochen – weil er die Kuh nicht ordentlich verwahrte. Bachler dachte, die bäuerliche Welt stünde nun am Ende – und viele dachten wie er. Seine Wutrede sahen 200.000 seiner „Fans“. Und ich hätte jetzt natürlich auch eine Wutrede aufnehmen können und meine Follower in Stellung bringen können gegen einen arroganten Bauern. Willkommen auf der Alm / Aber es kam anders. Wir packten die digitalen Heugabeln ein, denn Bach - ler forderte mich zu einem „Praktikum“ auf. Als ich antwortete: „Herr Bachler, ich komme gerne zu Ihnen“, antwortete er. „Per ,Sie’ samma bei uns her - oben nur mit die Orschlecha.“ Und das gefiel mir. So passierte etwas ganz Magisches: Wir klappten unsere Computer zu und trafen uns, um zu reden. Er zeigte mir die großen, sich überlagernden ge - sellschaftspolitischen Krisen anhand seines kleinen Hofes. Klimawandel, Tierwohldebatte, Agrarwende, das Finanzsystem in der bäuerlichen Welt, die Not der Bauern: Bachler, der mich gerade noch be - schimpfte, wurde mein Lehrer – und wir wurden Freunde. Der Bauer und der Bobo – der Städter und der Landwirt: Wir hatten mehr gemeinsam, als wir zunächst dachten. Computer zuklappen, Handy weglegen / Bachler geriet danach in Not und wir organisierten mit Profis eine große Spendenaktion. 12.000 Menschen spen - deten mehr als 400.000 Euro – und zwar nicht, weil sie irgendeinen Bergbauern retten wollten, son - dern weil Bachler in seiner und meiner Facebook- Gemeinde für eine andere Landwirtschaft, einen anderen Umgang mit Tieren und der Natur stand. Social Media können eine grässliche Hassmaschine sein und uns spalten. Die Algorithmen sind darauf angelegt, dass wir uns empören, erregen und ein ander provozieren. Wir sollten daher ab und an den Computer abdrehen, das Handy weglegen und jene, die uns beschimpfen, einfach mal besuchen. Das wirkt Wunder. Oft sind es einsame Menschen, voller Probleme, die ihren Zorn in die Tasten drücken. Und ihre Wutschreie ein Ruf nach Hilfe, Anerkennung oder einfach nur nach einem Gespräch. Klingt etwas kitschig, ist aber manchmal wirklich so. / Florian Klenk Foto: Christopher Mavric / Illustration: Karo Rigaud Beiträge in der Rubrik „Denkanstoß“ geben nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder. Florian Klenk 49 Jahre, ist Investigativjourna - list, Buchautor und Chefredak- teur der Wiener Wochenzeitung „Falter“. Seinen Bestseller „Bauer und Bobo“ (Zsolnay) gibt es ab 12. Dezember als Dokumentarfilm auch auf DVD. Siehe Verlosung auf Seite 26. Denkanstoß Mehr gemeinsam als gedacht. Johanniter / Dezember 2022 / Unter Freunden 23
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