Johanniter Dezember 2023
Als Drehbuchautor weiß ich: Wenn zwei sich streiten, freut sich der Zuschauer. Das ist die obers - te Grundregel fast jeder Komödie, ja fast jeder Geschichte – Konflikte, Konflikte, Konflikte! Ganz gleich, ob der kommunistische Bürgermeister Pep - pone sich mit dem strengen Priester Don Camillo anlegt oder ob in „Der Vorname” gleich eine ganze Familie aus Querköpfen aufeinander losgeht: Wenn grundverschiedene Welten und Lebensanschauun - gen aufeinandertreffen, langweilt man sich nicht. Ich schreibe diese Art von Geschichten seit einigen Jahren und ich schreibe sie gern. Mir macht es Spaß, die Figuren in meinen Filmen aufeinanderzuhetzen. Aber in letzter Zeit habe ich dabei manchmal Bauch - grummeln. Das ganze Gezanke ist mir inzwischen zu nah an der Wirklichkeit. Jeder sendet nur noch / Deutschland ist ein unge - mütliches Land geworden. Der Stammtisch ist überall und der Stammtisch ist ein Schlachtfeld. In „Diskussi - onen” wird fast nur noch gekeult. Jeder sendet, kaum einer empfängt noch. Klimawandel, Corona, Rechts - ruck, Migrationsströme, Islam, Genderidentitäten – für alles gibt es vorgefertigte Meinungen, die man ohne Wenn und Aber zähnefletschend verteidigt. Und diese Dogmen treiben dann in Lager. Wir scheinen unversöhnlich. Dabei wollen wir am Ende des Tages doch alle dasselbe: eine Perspektive im Leben, ein gewisses Maß an Respekt, Glück und Liebe. Wir sind alle gar nicht so verschieden, wie es scheint. Davon handelt mein neuer Film „791 km”. Vom Streiten, ja – aber vor allem vom Versöhnen. Der Regisseur Tobi Baumann hatte die Idee, fünf Men - schen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, in einer stürmischen Nacht, in der alle Züge und Flüge ausfallen, auf eine Taxifahrt von München nach Hamburg zu schicken. Ich habe diese fünf Menschen und ihre Geschichten dann erfunden: den grantigen Taxifahrer Joseph, die Professorin Marianne, die alten Hippie-Idealen nachjagt, die Deutsch-Iranerin Tiana, die deutscher als jede Deutsche sein will, sowie ihr Freund Philipp, der einfach nur Spaß haben möchte. Und dann ist da noch eine ganz spezielle junge Frau namens Susi, die allen Leuten im Auto Rätsel aufgibt. Recht und unrecht haben / Niemand in diesem Taxi ist derselben Meinung. Die Nerven liegen blank, ver - rückte Dinge passieren, es fliegen die Fetzen. Es gibt sehr viel zu lachen auf dieser Fahrt – nicht für die Fahrgäste, aber fürs Publikum. Die fünf teilen aus, dass es kracht. Aber man schließt sie auch alle ins Herz. Alle! Das war mir wichtig: Jede Figur im Film hat mal recht und mal nicht. Es gibt niemanden, der besser ist als die anderen. „791 km” ist „nur” ein Film. Er soll vor allem Spaß machen und unterhalten. Aber wenn die Zuschauer obendrein etwas entspannter und kompromiss bereiter aus dem Kino kommen, würde mich das freuen. / Gernot Gricksch Foto: Martin Walz / Illustration: Karo Rigaud Beiträge in der Rubrik „Denkanstoß“ geben nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder. Gernot Gricksch 59, ist Autor von Sachbüchern, Romanen und Drehbüchern und bringt seine Figuren gerne in die Bredouille. So auch in seinem Skript für „791 km”, der am 14. Dezember in die Kinos kommt. Denkanstoß Auf sie mit Gebrüll Herz! 23
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