Johanniter September 2024
„Ich will nicht, dass ihr hoffnungsvoll seid … Ich will, dass ihr die Furcht fühlt, die ich je - den Tag fühle. Und dann will ich, dass ihr handelt!“, schleuderte die Umweltaktivistin Greta Thunberg den Spitzen aus Politik und Wirtschaft beim Welt - wirtschaftsforum 2019 in Davos entgegen. Eine ganz andere Sicht vertritt zum Beispiel der Frank - furter Philosoph Darrel Moellendorf. Für ihn ist „eine hoffnungsvolle Politik … die beste Antwort auf die Probleme des Klimawandels“. Ist Hoffnung eine Illusion, die uns von den notwen - digen Schritten abhält, um die Welt zu retten? Oder kann uns gerade Hoffnung die Kraft geben, die wir angesichts der drohenden Klimakatastrophe drin - gender denn je brauchen? Gibt es überhaupt noch Grund zum Hoffen, oder sind Erderwärmung und Artensterben schon zu weit fortgeschritten? Ein Blick in die Geschichte zeigt: Menschen haben zu allen Zeiten gehofft. Man hat Hoffnung als Emotion, als Tugend und als Haltung begriffen, vor allem aber ist sie ein Weltverhältnis, das in der menschlichen Offenheit zur Zukunft begründet ist. Anders als Tie - re denken wir darüber nach, was sein wird. Neben Sorgen haben wir auch Hoffnungen, wenn wir an die Zukunft denken. Historische Veränderungen / Aber wie und worauf Menschen hoffen, war und ist sehr verschieden: In der Antike war man sich der Gefahr sehr bewusst, dass Hoffnungen verblenden können – die Hoff - nung ist das Übel, das in der Büchse der Pandora bleibt. Mit dem Christentum gewann die Hoffnung an Gewicht, als Erwartung der Auferstehung von den Toten richtete sie sich auf das Jenseits und wurde zu einem Pfeiler des Lebens im Diesseits. Im 19. Jahrhundert entwickelten sich die Nation, der technische Fortschritt und der Sieg der Arbeiterklas - se zum Gegenstand ähnlich starker Hoffnungen, die man aber schon in dieser Welt erlangen wollte. Prof. Dr. Jonas Grethlein 46, lehrt als international renommierter Altphilologe an der Universität Heidelberg. Das neue Buch des Leibniz- Preisträgers 2024 heißt „Hoff - nung“. Siehe auch Verlosung auf Seite 26. Denkanstoß Hoffnung spendet Kraft. Foto: Sabine Hug/ Illustration: raufeld/Martin Rümmele Beiträge in der Rubrik „Denkanstoß“ geben nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder. Kleine Dinge erreichen / Die zivilisatorischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts stellten die Hoffnung auf den Prüfstand, doch nicht einmal im Konzentrationslager verschwand sie gänzlich. Heute fordern uns neben dem Klimawandel auch andere Krisen wie der Krieg in der Ukraine, die Konflikte im Nahen Osten und das Erstarken populistischer Par - teien heraus. Kein Zweifel: Die großen Hoffnungen der Moderne sind schwer aufrechtzuerhalten, umso wichtiger sind die kleinen Hoffnungen. Hoffnungen, die sich nicht auf eine ferne Zukunft, sondern das Morgen, nicht auf die gesamte Menschheit, son - dern die Gemeinschaften vor Ort richten. Solche Hoffnungen stehen weniger in der Gefahr zu ver - trösten, als dass sie Kraft spenden und zum Handeln motivieren können. Wer hofft, erkennt an, dass das Gelingen von etwas nicht in der eigenen Macht steht, dass es sich aber trotzdem lohnt, danach zu streben. / Jonas Grethlein Johanniter / September 2024 / Unter Freunden 23
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