Johanniter Juni 2025
Als ehrenamtlicher Einsatzleiter in der Psychosozialen Notfallversorgung ist Ralf Kresse in der Hansestadt Rostock für andere da, wenn es kritisch wird. Mit Umsicht, Empathie und viel Ruhe. Foto: Johanniter „Für mich ist ein Einsatz dann abgeschlossen, wenn ich in meiner Küche sitze, die Johanniter-Kluft aus gezogen habe, das Einsatzprotokoll geschrieben ist und ich meine Tasse dampfenden Fencheltee ge trunken habe.“ Ralf Kresse, Einsatzleiter des Teams Psychosoziale Notfallversorgung (PSNV) in der Han sestadt Rostock, hat sich ein Ritual zugelegt, wie er „runterkommt“: Inzwischen liebt der Berufssoldat seinen Fencheltee. Es ist seine persönliche Psycho hygiene, auf die der 52-Jährige wirklich Wert legt. Denn wenn er mit Polizei, Feuerwehr, Notarzt und Rettungskräften zu schweren Unfällen, Bränden oder an Tatorte gerufen wird, herrscht Ausnahme zustand. Und die Psyche von Opfern, Angehörigen und Hinterbliebenen leidet. „Am gruseligsten sind Situationen, wenn minderjährige Kinder ihre Eltern verlieren“, sagt Kresse. „Oder Eltern ihre Kinder.“ Fingerspitzengefühl ist dann verlangt: schweigen, wenn es die Situation erfordert. Oder reden, falls gewünscht. „Alles, was für die Betroffenen in der Situation untypisch ist, belastet sie ja“, sagt Kresse. Emotionale Gespräche / Manchmal hilft ein Impuls: zum Beispiel die Betroffenen in ihrer Ausnahme situation zum Kaffeekochen oder zum Essen zu bewegen. „Damit sie aus ihrer Schockstarre raus kommen.“ Der dreifache Familienvater weiß, dass Betroffene dann eher mit externen Menschen wie ihm sprechen. Weil sie Fremde sind und damit auch die Hemmschwelle sinke. Ihren letzten Großeinsatz hatten Kresse und sein Team in einer Stralsunder Schule. Ein Schüler einer 7. Klasse war vom Schul dach gestürzt. Es dauerte nicht nur einen Tag, die etwa 1.000 Personen im Umfeld des Schülers in ihrer Trauer, Angst, in ihrem psychischen Schmerz aufzufangen und zu begleiten. Kresse erinnert sich auch an einen prägenden Fall: als ein Schiffskran dem Belastungstest im Überseehafen Rostock nicht standhielt und es Schwerverletzte gab. Für eine der Ingenieurinnen an Bord, die den Kran mit projektiert hatte und beim Stresstest anwesend war, „brach damals eine Welt zusammen“. Eindrücklich erinnert sich Kresse an sehr emotionale Gespräche, aber auch an den Dank, den er für seine Unterstützung als Ruhepol im Ausnahmezustand bekommen hat. Solche Momente motivieren den Stabsbootsmann, so sein offizieller Dienstgrad bei der Marine. Eigene Erfahrung als Basis / Als Soldat hatte er einst eine Nachsorgeausbildung absolviert, um seine Kameraden nach schwierigen Einsätzen zu stabi lisieren, gut zuzuhören und mit richtigen Fragen zur Seite zu stehen. Auch er hatte unter tragischen Umständen einen Kameraden verloren und weiß deshalb sehr genau, wie sich Betroffene fühlen. So war es für ihn nach genügend Abstand nur ein kleiner Schritt, seine Kenntnisse und Fähigkeiten auch im zivilen Bereich anzuwenden. Bei den Johannitern setzte er sich 2018 noch mal auf die Schulbank. „Man darf keinesfalls akut selbst betroffen sein“, mahnt Kresse aber. Und darauf angesprochen, welche be sonderen Fähigkeiten er habe, sagt er: „Ich habe die Ruhe, das Leid zu hören, und ich kann Grenzen set zen.“ Man spürt richtiggehend, wie er am Ende eines herausfordernden Einsatzes in einer Schule oder auf einem Kranschiff mit einer Tasse dampfenden Fencheltees zur Ruhe kommt. Und den Blick auf die Weite der Ostsee genießt. / Ina Krauß Porträt Ruhepol im Ausnahmezustand. Johanniter / Juni 2025 / Unter Freunden 27
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