Johanniter Dezember 2025
Der Advent steht vor der Tür und hat Apfel, Nuss und Mandelkern dabei, und wir lächeln ein bisschen wehmütig, weil wir denken, dass er so aus der Welt gefallen ist. Drum herum tobt alles, und er will eine Kerze anzünden. Aber er schiebt uns zur Seite. „Das ist meine Art von Protest“, sagt er. Und auf einmal wirkt er gar nicht mehr so betulich. Wir lassen ihn rein, er verteilt Kekse, die nach Vanille schmecken, und dann beginnt er zu erzählen: Geschichten, die von dieser Welt sind. Und wir schreiben sie auf. Alle Jahre wieder, jedes Jahr anders. Weil der Advent nämlich längst nicht fertig ist, und mindestens beides will: die kalte Realität in Hoffnung tauchen. Herzen wärmen. Die Welt zum Glänzen bringen. Der Advent weiß, was der Seele guttut. Und gleichzeitig, bevor wir es uns zu behaglich machen, rüttelt er uns wieder wach. „Steht auf“, ruft er, „werdet selber Licht! Stürzt die Herrscher von ihren Thronen, alles Stiefelgedröhn soll verhallen, ein Kind den Himmel spiegeln“, daran hält er fest. Sehr von dieser Welt / Der Advent ist so sehr von dieser Welt, dass er sich nicht zukleistern lässt. Egal, wie viel Zuckerguss er ertragen muss. Im Gegen- teil: Er hat viel zu tun, er geht von Tür zu Tür, er versucht es auch bei jenen, denen überhaupt nicht heimelig zumute ist, bei denen erst recht. Und da kommen wir ins Spiel: Wir helfen ihm ein bisschen, denn er kann Helferinnen und Helfer brau- chen. Wir erzählen seine Geschichten weiter, aber in unseren Worten. So ehrlich, wie wir das können. Mal als Gedicht oder als Gebet, mal in Briefform oder mit einer überlebensgroßen Frage. Von Mund zu Mund / „Stille Post“ nennen wir das. Weil jede Geschichte sich ein bisschen verändert, wenn sie von Mund zu Mund geht. Sie wird mit Leben Foto: edition chrismon / Privat / Illustration: raufeld/Martin Rümmele Beiträge in der Rubrik „Denkanstoß“ geben nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wieder Susanne Niemeyer & Matthias Lemme leben in Hamburg-Ottensen. Die Autorin und der ge- meinsam mit seiner Nachbarin leidenschaftlich gerne schreibende Pastor liefern lieber inspirierende Gedan- ken als Schokolade. (Siehe auch Verlosung auf S. 30.) Denkanstoß Der Hoffnung die Tür aufhalten. gefüllt, mit unseren Leben. Und mit Ihren. Denn „Stil- le Post“ ist ein Adventskalender zum Weitersagen: Jedes Jahr gibt es 24 neue Texte. Garantiert noch nicht gehört. Jede Seite gibt es doppelt – einmal zum Behalten und ein zweites Mal als Postkarte zum Ver- schicken. Weil Advent zusammen heller wird. PS: Eine Auswahl unserer Lieblingstexte aus acht Jahren „Stille Post“ gibt es im neuen Buch: „Licht in Sicht: Zusammen durch den Advent“. Da steht alles drin, was wir über den Advent und Weihnachten wissen. Und ja, es ist eine Liebeserklärung … / Susanne Niemeyer & Matthias Lemme „Als Günther zum Engel umschult, denkt er nur ans Fliegen. Fliegen wollte er schon als Kind. Aber dann reichte es bloß zum Gabelstapler. Seit drei Monaten ist auch damit Schluss. Be- triebsbedingte Umstrukturierungen. Günther ist zu alt. Als Engel ist man nie zu alt, das geht auch in der Rente noch. Nur reich wird man davon nicht, aber das Licht, das brennt jetzt immer. Trotz der hohen Strompreise. Weil Günther jetzt einfach selber strahlt.“ Johanniter / Dezember 2025 / Unter Freunden 29
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