

Am Ende sind es die vielen – meist kleinen – Details, die
einem helfen, mit großen Herausforderungen fertig-
zuwerden. So geht es mir als Leiter der Erstaufnahme-
einrichtung für Flüchtlinge des Landes Baden-Württem-
berg in meiner Heimatstadt Ellwangen. Szenen einer
unglaublichen Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft,
wie am Münchner Hauptbahnhof im Sommer 2015, erle-
ben wir in unserer Einrichtung seit mehr als zwei Jahren.
Auch wenn die Herausforderungen heute ganz andere
sind als in der Zeit, in der wir statt, wie geplant, 1.000 fast
5.000 Geflüchtete zu versorgen hatten.
Es waren die Kollegen, für die es selbstverständlich
war, freiwillig Überstunden zu leisten, um mit der Ent-
wicklung Schritt zu halten. Es war der Küchenchef, der
einem bei einem Bewohnerstand von 3.000 Personen
versicherte, dass er auch 5.000 satt bekommen werde.
Es waren aber auch die Stadt mit ihren Menschen
und Organisationen, die immer da waren, wenn es nicht
mehr weiterging. Und es waren die christlichen Kir-
chen in der Stadt, die sich öffentlich und vernehmbar
zur christlichen und sozialen Pflicht der Nächstenliebe
für diese Ärmsten der Armen bekannten. Und natürlich
die bis zu 300 Ehrenamtlichen, die selbst bei schlechten
Nachrichten anfragten, wo noch weitere Hilfe benö-
tigt werde. Ebenso die Stadtverwaltung mit einem
hochengagierten Ausländerbeauftragten und unser
Landrat, der sich nie von Populisten schrecken
ließ, sondern unbeirrt mit seiner Behörde die
Erstaufnahme-Einrichtung förderte.
Auch heute, bei „nur“ noch 500 Men-
schen, die bei uns untergebracht sind, er-
fahren wir Unterstützung. Die Schwie-
rigkeit ist nicht mehr die große Zahl an Menschen, die
wir zu versorgen haben. Bei einer Verweildauer von
bis zu sechs Monaten gibt es andere Probleme. Die Eu-
phorie, am Ziel, im sicheren Deutschland angelangt
zu sein, weicht schnell der bangen Frage, wie sich die
Zukunft nun gestalten wird. Die Realität einer manch-
mal erbarmungslosen Leistungsgesellschaft liegt offen
vor den Menschen. Es wird deutlich, wie schwierig und
langwierig erhoffte Familienzusammenführungen sind.
Nicht zuletzt stürzen auf der Flucht erlittene, teilweise
schwerste Traumata unsere Gäste in tiefe Hoffnungslo-
sigkeit. Aufgefangen werden sie von Menschen unserer
Stadt.
Diese Herausforderungen haben unsere kleine Stadt
zu einer Größe heranwachsen lassen, die so keiner er-
wartet hätte: eine soziale – und in unserem Falle auch
christliche – Fundierung von Menschen und Organisa-
tionen nicht nur in Sonntagsreden, sondern auch über
lange Zeit im Alltag erlebbar. Die Menschen suchen
nicht bei schönem Wetter ein bisschen Ablenkung vom
Alltag, sondern geben den Heimatlosen auch im Gegen-
wind von Rechtspopulisten zumindest für eine gewisse
Zeit das Gefühl einer neuen Heimat. Dies ist harte Ar-
beit mit täglich vielen Problemen, die es zu lösen gilt. Es
gibt nicht nur Unterstützer, sondern ebenso hartnäckige
Gegner dieser Einrichtung. Aber unsere Stadt ist an die-
ser gewaltigen Aufgabe gewachsen. Und beweist echte
Größe.
Berthold Weiß
Denkanstoß
Eine Stadt
zeigt Haltung
Berthold Weiß,
54, ist Leiter
der Landeserstaufnahme-
einrichtung Ellwangen im
baden-württembergischen
Ostalbkreis und Mitglied des
örtlichen Gemeinderats für
„Bündnis 90/DIE GRÜNEN“.
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die Meinung der Redaktion wieder.
Foto: Privat, Illustration: Karo Rigaud
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Unter Freunden
johanniter 3/2017