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Jetzt sind sie wieder da! In den Schwibbögen aus dem

Erzgebirge, bei den blinkenden Weihnachtspyramiden

und auch als Kerzenhalter: Engel als Überbringer der

guten Weihnachtsbotschaft. Man erkennt sie an den

Flügeln.

Meine persönlichen Engel dagegen trugen die Weste

des Rettungsdienstes der Johanniter. Diese in knalligem

Rot mit dem achtspitzigen Kreuz am Ärmel und an der

Brust. So wird unübersehbar klar, in wessen Namen die

Engel da unterwegs sind.

Meine 17-jährige Tochter war mit dem Fahrrad un-

terwegs – blöderweise mal wieder ohne Fahrradhelm.

Eine unglückliche Bewegung bei Glatteis? Ein Schreck?

Jedenfalls ein Sturz und sie landete am Straßenrand

mit dem Kopf auf dem Asphalt. Sie rührte sich

nicht mehr. Kein Mucks. Bewusstlos. Erst spä-

ter machte sie die Augen wieder auf, vorsichtig.

Aufatmen, als sie sich dann wieder etwas be-

rappelte. Dann fing sie aber an, dummes Zeug

zu reden, und ihr war schwindelig. War da

im Kopf etwas kaputtgegangen? Sollte es

mehr als eine Beule sein, die nach ein

paar Tagen einfach weg ist? Was tun?

Bloß nichts falsch machen. Angstkino

im Kopf. Die Notfallnummer 112 wur-

de gewählt und bald schon hörte

man aus der Ferne ein Tatütata.

Als der Rettungswagen dann end-

lich da war, stiegen Engel heraus.

Engel in leuchtend roten Jacken

und mit schweren Rettungsschu-

hen. Was sie allerdings nicht hat-

ten, das waren Flügel. Dafür aber

große Sachkompetenz. Da merkte man gleich:

Hier sind Profis am Werk, die ihr Hand-

werk verstehen. Die wissen genau,

was sie tun. Die haben das schon

oft gemacht. Das Kind kam

nach kurzer Untersuchung

gaaaanz vorsichtig auf eine

Trage. Es wurde im Rettungswagen – auch unüberseh-

bar mit dem achtspitzigen Kreuz – zum nächstgelege-

nen Krankenhaus gebracht.

Im Krankenhaus wurde ausführlicher untersucht.

Nach drei Tagen Stillliegen im abgedunkelten Raum

war alles gut. Unbeschwert konnte Weihnachten ge­

feiert werden. Meine Tochter erinnert sich nicht mehr,

weder an den Unfall noch an die rettenden Engel.

Bescheidenheit ist wohl Einstellungsvoraussetzung für

Engel.

Ja, meine Engel kommen in der Regel ganz handfest

daher. Sie haben meist Namen und Gesicht. Es muss

nicht immer so dramatisch sein. Es geht

auch leiser.

Eines meiner mittlerweile erwachse-

nen Kinder wurde mir auch zum Engel:

Mein Sohn wohnte mal wieder eine

Weile bei uns und hatte es sich zu einer

mir lieben Angewohnheit gemacht, mir

jeden Morgen eine Tasse frisch gebrüh-

ten Kaffee ans Bett zu bringen. Viel-

leicht sollte ich noch erwähnen, dass

morgens nicht ganz so seine Zeit ist.

Trotzdem: jeden Morgen. Der Kaffee

wurde handgemahlen in der Espresso­

kanne auf dem Herd gebrüht. Dann

wurde er serviert in meiner Lieblings-

tasse – mit einem Lächeln und auf­

geschäumter Milch. Dankbar denke ich

mir, was die Zeit aus dem Rabauken doch

gemacht hat: Lächelnd beginnt mein Tag im

Morgengrauen.

Ich bin gespannt, welche Engel der Herr

mir noch so schickt. Da will ich genau auf­

passen, dass mir auch ja keiner durch die

Lappen geht.

Jan von Campenhausen

Denkanstoß

Engel mit und

ohne Flügel

Jan von Campenhausen,

57,

ist theologischer Direktor

der Evangelischen Witten-

bergstiftung, Vater von sechs

Kindern und freut sich auf

das jüngste Enkelkind, das in

den Weihnachtstagen auf die

Welt kommen soll.

Foto: Christian Melms, Illustration: Karo Rigaud

Beiträge in der

Rubrik „Denk­

anstoß“ geben

nicht zwangsläufig

die Meinung der

Redaktion wieder.

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Unter Freunden

johanniter 4/2017