

Porträt
Lebenslust
mit Musik
Viel erlebt und immer das Beste daraus
gemacht: Christa Graßmann ist schon seit
frühester Kindheit mit den Johannitern
verbunden.
Jeden Morgen kurz nach sechs Uhr endet Christa Graß
manns Nachtruhe. Dann bereitet sie ihrer Tochter und
sich das Frühstück und liest danach bis neun Zeitung.
„Damit ich informiert bin über das, was in der Welt pas
siert“, sagt die 90-Jährige.
Schon mehr als 33 Jahre unterstützt sie die Johan
niter-Unfall-Hilfe. Sie erinnert sich noch genau, wie
es 1983 dazu gekommen ist: „Damals stand ein junger,
freundlicher Arzt aus Deister vor der Tür.“ Er warb da
mit, dass man für nur eine Mark im Monat die Arbeit
der Johanniter unterstützen könne. „Da ich die Johanni
ter schon seit meiner Kindheit kannte, war es das Nor
malste für mich, Mitglied zu werden“, so Graßmann.
Bereits als junges Mädchen hatte sie in ihrer ober
schlesischen Heimatstadt Falkenberg, gelegen zwischen
Breslau und Krakau, die Johanniter indirekt unterstützt:
als Chorkind der evangelischen Gemeinde. „Immer in
der Adventszeit, zu Weihnachten und Ostern hat unser
Kinderchor die Patienten des Falkenberger Johanniter-
Krankenhauses besucht und mit Liedern erfreut.“ Oder
sie haben den Sarg der Armen, die sich keinen eigenen
Trauerchor leisten konnten, bis zum Grab begleitet. Leb
hafte Erinnerungen, die bis heute ihre Überzeugung von
der Nächstenliebe gefestigt haben.
Dankbar blickt die lebenslustige Seniorin zurück.
Auch wenn die Kriegswirren dafür sorgten, dass sie
ihre Heimat verlassen musste. Über Berlin landete
Christa Graßmann als Flüchtling in Dithmarschen, ei
ner Stadt mit damals 5.000 Einwohnern, die über Nacht
6.000 Flüchtlinge verkraften musste. Sie hat ein gutes
Gefühl für das, was aktuell diskutiert wird. „1948 konnte
ich mir meine erste eigene Waschschüssel leisten“, sagt
sie. Noch heute ist diese in ihrem Besitz. Undenkbar,
sich davon zu trennen.
Foto: Privat
Ein beruflicher Zufall führte Christa Graßmann nach
Niedersachsen. Als ausgebildete Kaufmannsgehilfin hat
te sie sich in Hannover beworben und kam zum Staats
theater – weil sie Steno und kaufmännische Buchhal
tung konnte. In „zehn wunderbaren Jahren“ habe sie
viel über Musik gelernt, die Bekanntschaft prominenter
Sänger gemacht sowie das Ballett- und das Schauspiel-
Ensemble aus der Nähe erlebt. Mit der Geburt des ersten
von zwei Kindern hat sie den Vertrag beendet, danach
ihrem Mann im Optikerladen die Bücher geführt.
Geblieben ist die Liebe zur Musik. Bis nach New York
zur Metropolitan Opera ist sie gereist und hat in Wa
shington Plácido Domingo erlebt. Erst mit Mitte 80 hat
sie das Auto abgemeldet und den Turnverein verlassen –
der Hausnotruf der Johanniter gibt ihr seither Sicher
heit: „Anfang des Monats mache ich einen Testanruf.
Dann habe ich ein nettes Gespräch mit einem freundli
chen Mitarbeiter und wir wissen, dass alles funktioniert.“
Einen mildtätigen Plan verfolgt sie derzeit: Weil
ihr Heimatverein des Kreises Falkenberg altersbedingt
keinen Nachwuchs und keine Interessenten mehr hat,
könnte nach der Auflösung das Restvermögen gespen
det werden. Christa Graßmann hat sich bei der letzten
Sitzung für die Johanniter-Unfall-Hilfe starkgemacht.
„Das käme dann vielen zugute“, ist sich die fröhliche
Rentnerin sicher. Mit ihren 90 Jahren weiß sie eben
noch immer Bescheid.
Ina Krauß
Unter Freunden
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johanniter 1/2017