

Sicher, wir können Martin Luther nicht so einfach über
500 Jahre hinweg in unsere Zeit beamen. Und doch
bleibt der Reformator mit seinen theologischen Über
zeugungen und seiner Biografie aktuell, bewegend. 2017
werden wir das feiern mit Rückblick, Blick auf die Ge
genwart und auch auf die Zukunft.
Aktuell bleibt Martin Luther mit seiner enormen
Sprachkompetenz. Bei der Übersetzung der Bibel in die
deutsche Sprache war er ungeheuer kreativ. Er hat Be
griffe wie „Geizhals“ oder „Morgenland“ überhaupt erst
erfunden. Und er hat so gepredigt, dass die Menschen
verstanden haben: Das Evangelium geht mich ganz per
sönlich etwas an!
Dazu kommt Luthers Mut. Vor dem Reichstag, vor
den höchsten Autoritäten seiner Zeit stehend, widerruft
er seine Schriften nicht, denn er wird nicht
durch die Bibel oder Vernunft wider
legt. Gegen das Gewissen will
er nicht handeln. Solche Hal
tung brauchen wir auch heute.
Haltung ist aktuell, wenn wir an
Luther denken.
Hinzu kommen Luthers Fähig
keiten als Exeget, als Prediger. Wer
einmal seine Psalmenvorlesung
nachliest, begreift, dass er wahr
haftig Wort für Wort und Satz
für Satz dem biblischen
Text nachgeht. Als Pre
diger ist er mir Vorbild,
weil er darum ringt,
den biblischen Text
in den Kontext seiner
Zeit zu übersetzen.
Und viele unterschät
zen den Seelsorger
Martin Luther. Er war
nicht nur ein polternder Redner, sondern schrieb inten
siv Briefe an Menschen, die ihn in ihrer persönlichen
Not um Rat fragten – einen Mann etwa, der Selbstmord
gedanken hegte.
Und dann ist da der Ehemann und Familienvater
Luther. Was er, der erst mit 41 geheiratet hat, über Ehe
und Kinder schreibt, lese ich als sensibel und anrührend.
Natürlich kenne ich Luthers Schattenseiten, seinen
Antijudaismus, seine Angst vor Hexen und dem Teufel,
seine oft gewalthaltigen schriftlichen Beiträge. Aber
Sprachkompetenz, Mut und seine Qualität als Seelsorger
wie als Prediger sind bis heute beeindruckend. Und
Luther macht uns klar: Ich stehe anderen Menschen
nicht bei, um mir irgendwelche „Meriten“ im Himmel
zu verdienen. Sondern ich bin so dankbar für die Ga
ben, die Gott mir geschenkt hat, dass ich sie gern in den
Dienst meiner Mitmenschen stelle.
Im Reformationsjubiläumsjahr werden wir
zurückblicken auf die Geschichte der Re
formation mit all ihren Facetten. Aber wir
schauen auch auf die Ge
genwart: Wo sind heute
Reform und Reformation
gefordert mit Blick auf
unsere Kirchen und mit
Blick auf unsere Gesell
schaft? In internationaler
Gemeinschaft und im öku
menischen Horizont werden
wir das tun, vor allem bei der „Weltaus
stellung Reformation“ in Wittenberg von
Mai bis September 2017. Sie sind herz
lich eingeladen, sich an den Diskussio
nen zu beteiligen, damit wir Perspek
tiven finden für die Haltung, die
wir im 21. Jahrhundert einnehmen
sollten.
Margot Käßmann
Denkanstoß
Von Luther
lernen
Margot Käßmann,
58, Theo-
login und ehemalige Ratsvor-
sitzende der Evangelischen
Kirche in Deutschland (EKD),
ist aktuell die Botschafterin
des Rates der EKD für das
Reformationsjubiläum 2017.
Illustration: Karo Rigaud, Foto: Julia Baumgart
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